„Großvargula ist einer der ältesten Orte in Thüringen und war über einen sehr langen Zeitraum einer der bedeutendsten“, so beginnt die Geschichtsaufarbeitung des Dorfes in Zentralthüringen, nachzulesen auf der Homepage.
Ein weiterer bedeutender archäologischer Beweis wurde zunächst von den Fachleuten des Museum Mühlhausen bis Ende 2019, seit 2020 vom TLDA (Thüringer Landesamt für Archäologische Denkmalpflege) erbracht. Herr Dr.Tannhäuser stellte einen Teil der Funde auf einer Pressekonferenz offiziell vor (1).
In Begleitung von Arbeiten einer neuen Wasserleitung stießen die Archäologen auf ein Gräberfeld. Vermutet wurde ein Friedhof der römischen Kaiserzeit, sie fanden über 70 Ruhestätten aus der Merowingerzeit des 6. und 7.Jahrhunderts. Die bedeutendsten Funde waren 4 Kriegergräber und ein reich ausgestattetes Grab einer Frau. (1)
Ein Begleitbuch zur Ausstellung „Die Franken, Wegbereiter Europas“ (1996 in Mannheim), beschreibt ausführlich die Geschichte der Merowinger. (2)
Im Kontext mit diesem Werk stellen die bisherigen Funde in Vargula eine Sensation dar, die Aussicht auf noch bedeutendere Exponate, lassen die Ausmaße erahnen.
Die Franken („Freien) entsprangen ursprünglich den Stämmen der Chamaven, Chattuarier, Bukterier, Tuihanten und Salier, alle am Rhein angesiedelt. Im Gebiet der gallisch/keltischen Bevölkerung verloren sie unter Veringetorix in der letzten Schlacht bei Alesia ihre Unabhängigkeit an die Römer. Sie kämpften fortan an als Hilfstruppen genau wie ihre Nachbarn, die Thüringer, unter römischer Führung.
Aus diesen Verbänden stieg das Geschlecht der Merowinger zu Königen innerhalb der Franken auf, die im Lauf der Zeit Expansionpolitik betrieben. Aus dem Stamm der Salier wurde Chlodio um 430 erster Großkönig, ihm folgten Merowech, Childerich und Chlodwig.
Den wahrscheinlich markantesten Bezug zu Vargula stellte Childerich her.
Er verbrachte seine Jugend in Thüringen, entweder aus inneren fränkischen Auseinandersetzungen um die Macht im Exil, als Verbündeter oder anderen Gründen kann nur spekuliert werden, da schriftliche Zeugnisse in Gänze fehlen. Die einzige schriftliche Quelle existiert aus den Jahren zwischen 576 und 594 durch Gregor von Tours, 100 Jahre nach dem Tod Childerichs verfasst.
Die Begräbnisrituale der Franken werden in genanntem Werk (2) ausführlich beschrieben. Meist wurden die Toten schlicht, oft durch Verbrennung der Körper, begraben. Eine gravierende Ausnahme bildete die Grablegung Childerichs in Tournai (Belgien). 1653 entdeckte man die Grabanlage mit einem Durchmesser von 20-40 Metern (2). Wissenschaftler vermuteten, dass sie östlichen Bestattungsritualen nachempfunden und durch seinen langen Aufenthalt in Thüringen durch eben jenen Stamm in sein Bewusstsein gelangte. Viele Grabbeigaben des Großkönigs sind im Lauf der Jahrhunderte verloren gegangen. Um das eigentliche Grab Childerichs lagen Krieger mit ihren Waffen und Pferde.
Vergleicht man die Funde mit den bisherigen in Vargula, treten markante Parallelelen auf. Reiterkrieger (Sporen als Grabbeigaben) wurden bereits gefunden und Dr.Tannhäuser verwies in der Pressekonferenz (1) auf die eigentliche, zu erwartende Hauptattraktion.
Childerich heiratete eine Frau aus dem Königsgeschlecht der Thüringer, Basina, laut der einzigen schriftlichen Quelle, Gregor von Tours, war sie vorher die Frau König Bisin II. . Sie war die Mutter Chlodwigs, der sich 508 taufen ließ und somit den römisch-katholischen Glauben in seinen Stamm einführte. Chlodwig seinerseits wurde in einer von ihm gestifteten Kirche in Paris beigesetzt. Gemeinsam mit seiner Frau Chroderchilde, einer burgundischen Prinzessin die dem christlichen Glauben anhing, was ihr Gatte tolerierte, liegt er in der Apostelkirche „Basilika St.Apotres“ seit 511. König der Franken war er seit dem Tod seines Vaters Childerich 482.
Alle Nachfahren der Merowingerkönige wurden ebenfalls in Christlichen Kirchen beigesetzt, spätestens mit Dagobert I. 623 oder 629-638 wurde St.Denis in Paris die Grabeskirche der Frankenkönige.
Die engen verwandtschaftlichen Banden der Franken mit den Thüringern sind seit Childerich bekannt, sie bestanden sicher schon vorher verfolgt man die Expansion der beiden Stämme zu jeweiligen Großreichen. Machtkämpfe um die Königsherrschaft gingen damit einher.
Ob die gefundene Totenstätte in Vargula von einem einheimisches Geschlecht, dass sich nach der fränkischen Eroberung 531 mit den neuen Machthabern arrangierte, oder auf Grund familiärer Bande friedlich die exponierte Stellung in Zentralthüringen, der Furt durch die Unstrut, einnahm, aber ursprünglich direkt aus dem fränkischem Adel stammte, wird selbst mit Genuntersuchung (mögliche Abstammung von Thüringern) schwer nachweisbar sein.
Für beide Thesen gibt es überzeugende Argumente. Erfreulich die Entwicklung seit der Grabung, die Funde werden wissenschaftlich aufgearbeitet.
Vargula war bereits vor der fränkischen Eroberung 531 ein wichtiger strategischer Punkt. Die Kontrolle des alten Handelsweges brachte schon vordem erhebliche Einkünfte und führte zur Ausbildung einer Elite. Das vermutete Gräberfeld aus der römischen Kaiserzeit (1) liegt sicher in unmittelbarer Nähe der jetzigen Funde aus der Merowingerzeit. Die eingewanderten Hermunduren, die in den Stamm der Thüringer eingingen (andere Beiträge der Homepage Großvargula) hatten in ihren Reihen bereits Anführer, die an exponierter Stelle begraben wurden. Die Frage der weiteren Aufklärung des Gebietes durch Archäologen wird die Höhe ihrer Stellung im gesamten Stamm klären. Alles ist denkbar ob der markanten geographischen Lage an der Unstrut. Die unmittelbare Nähe zum Thingplatz und die mögliche Waffengemeinschaft mit den Hunnen sind vordergründig Nahrung für Spekulationen. Funde der Gegenwart der Hunnen sind in ganz Europa selten, ihre Anwesenheit in Vargula wäre sicher nur ein relativ kleiner Zeitraum und sie hätten ihre Toten nicht hier bestattet.
Ein wesentlicher Aspekt ist ein früherer Name von Vargula, Hochheim. Wollten die fränkischen Eroberer Macht demonstrieren, mussten sie 5 km entfernt zur Tretenburg, dem heiligsten Platz des Stammes der Thüringer, Zeichen setzen. Die Art der Totenstätte, weithin sichtbar direkt am Handelsweg, ist ein solches. Die Herren dieser Zeit hatten keine Angst vor Feinden.
Auf der anderen Seite der Unstrut gab es schon in weit vorherigen Zeiten eine weitere Aneinanderreihung von Hünengräbern und niemand kann voraussagen, was dort noch in der Erde verborgen ist.
Ein Seitental des Plateaus links der Unstrut heißt bis heute Königstal.
Der aktuelle Fund der Jahre 2019/2020 in einem Ort, der für Auswertige am Ende der Welt zu liegen scheint, vergessen der großen Geschichtsereignisse, ist bereits jetzt eine Sensation. Die spektakuläre Ablichtung der Exponate mit den Protagonisten in Erwartung weiterer Funde ist nur ein Teil, die Möglichkeit anschaulich die Schwelle des Übergangs zum Christentum zu dokumentieren, ist von mindestens ebenbürtiger Bedeutung.
Im Frauengrab wurde eine Münze in der Mundhöhle der weiblichen Person gefunden. Dr. Tannhäuser erläuterte anlässlich eines Vortrags in Großvargula Aussehen und Bedeutung der Münze. Sie soll analog der christlichen Tradition den Laib Christi darstellen, wie es beim Heiligen Abendmahl üblich ist.
Der aus Süden kommende Handelsweg kreuzte nach Überschreiten der Furt durch die Unstrut eines von mehreren alten Heiligtümern in Vargula (Es gab 3 Furten im Ort.). Der alte Glaube vom Leben nach dem Tod in einer anderen Welt war auch nach der Taufe germanischer Stämme tief verwurzelt. Chlodwig nahm an der Spitze der Franken stehend 508 den Katholischen Glauben an, die Thüringer waren wahrscheinlich wie die meisten Germanen Arianer.
Die aktuellen Funde in Vargula belegen den Anhang zum alten Glauben. Reich ausgestattete Gräber der Eliten im Reich der Franken fanden Archäologen unter anderem im Gebiet des Kölner Doms um 535/540 (2), aber die Goldmünze im Mund des Frauengrabes ist ein eindeutiges Indiz für die Religion der Toten zur Zeit ihrer Beerdigung.
Man muss in diesem Zusammenhang auch die Lage von Vargula an der Ostgrenze des fränkischen Reiches berücksichtigen.
Die Merowinger wurden von ihren Hausmeiern, den Karolingern an der Spitze des Frankenreiches abgelöst. Das Reich war in den letzten beiden Jahrhunderten expandiert. Analog dem weströmischen Reich konnte es nur ein einheitlicher Glaube zusammenhalten, das Christentum.
Bonifatius, einer jener Apostel der Franken, gründete 742 das Bistum Erfurt. In einem der markantesten Orte in Thüringen, Vargula, dokumentierte er die Macht der neuen Religion.
Genau an der Stelle des alten, aus christlicher Sicht heidnischen Heiligtums, weihte er eine Kirche, die nach ihm benannt wurde.
Die Existenz der Kirche ist unbestritten (3). Sollten die Mittel für archäologische Grabungen in Thüringen irgendwann ausreichen, wird man das Alter der Kirche datieren.
Durch den Kirchenbau auf der „Bonnefaz“ entstand auch ein neuer Friedhof, wie zahlreiche Knochenfunde in der Nähe der Kirche belegen. Das neue Pfarrhaus entstand unmittelbar neben der Bonifatiuskirche und blieb an dieser Stelle bis in die Gegenwart, obwohl die Hauptkirche des Ortes längst an anderer Stelle steht.
Die 2020 gefundene Totenstätte der Merowingerzeit wurde aufgegeben und geriet damit in Vergessenheit. Die Menschen der alten Siedlung rechts der Unstrut siedelten im Lauf der Zeit um die neue Kirche in der Pfarrgasse am linken Ufer, nur ein kleiner Teil der Gehöfte, im „Kleinen Dörfchen“, blieb bis heute erhalten.
Vargula schloss sich zu einem Dorf zusammen, denn ein anderer Teil der Urbevölkerung des Ortes lebte und betete inzwischen zum Christlichen Gott in der Marienkirche im Oberdorf. Auch an dieser Furt stand zuvor ein vorchristliches Heiligtum.
Die strategische Bedeutung der Furt am Handelsweg blieb auch in späterer Zeit. Ungarn überfielen das Land regelmäßig. Sie zu besiegen, beschloss man unter den neuen Königen der Luidolfinger eine Burg zu bauen und ein starkes Geschlecht mit der Leitung zu betrauen.
Den Handelsweg verlegte man so, dass er direkt von der Burg kontrolliert werden konnte (andere Artikel der Homepage Großvargula zu den Schenken und der Zugehörigkeit zu Erfurt). Der alte Flusslauf mit der ehemaligen Furt im Unterdorf bereitete den Brückenbauern der Unterbrücke immer wieder Kopfzerbrechen (Neue Chronik, Beitrag Egon Schmidt).
Unter der Herrschaft von Erfurt wuchs Vargula wie nie zuvor und nie wieder danach. Selbst nach dem 30 jährigen Krieg und stark dezimierter Bevölkerung war es für den Herren der Stadt Erfurt, den Obristen Andreas von Sommerfeld so attraktiv, dass er Vargula erwählte, um die Schulden Erfurts einzulösen. Er hatte die freie Auswahl.
Es bleibt spannend in Vargula, die Aufarbeitung der Geschichte betreffend. Nach dem 30jährigen Krieg zog es neue Geschlechter in den Ort, die teilweise nach vielen Generationen in der Gegenwart noch hier leben.
Erst allmählich verschwand die Bedeutung des Dorfes fern neuer bedeutender Handelsrouten. Beschaulich liegt es landschaftlich reizvoll im Tal der Unstrut. Die großen Ereignisse der Geschichte werden an anderen Orten gestaltet. Im Gesamtzeitraum der Historie der Menschheit in Thüringen ist dieser Abschnitt vergleichsweise gering. Vargula war über einen sehr langen Zeitraum ein bedeutender Ort in der Mitte Deutschlands.